Des Kaisers neue Kleider - Reboot 2025

Micro - 11.10.2025 - Gesellschaft, Rant

Willkommen in der Titelrepublik Deutschland. Ein Land, in dem man mit Business-Schalmeien, Chief-of-Irgendwas und Master-of-Nichts um sich wirft, als hinge das Seelenheil davon ab. Keiner kann mehr einfach arbeiten, alle müssen dirigieren, managen, supervisen oder optimieren. Und wehe, du bist nur ein einfacher Mensch ohne Visitenkarte mit mindestens zwei englischen Buzzwords drauf, dann bist du gesellschaftlich so gut wie tot.

Kapitel 1: Die Titelkrankheit

Neulich traf ich jemanden mit dem Titel “Senior-Praktikant”. Ich schwöre, ich habe gedacht der macht Witze. Aber nein, das war ernst gemeint. Ein unbezahlter Hanswurst mit einem Statussymbol. Das klingt als hätte er gerade die halbe Firma gerettet.

Das Absurde daran: Es gibt natürlich auch den “Junior-Praktikanten”. Beide schuften ohne Lohn, beide machen denselben Blödsinn, beide bedienen denselben Chef, aber einer darf sich ein bisschen erhabener fühlen, weil auf seinem Namensschild ein “Senior” klebt.

Ein Adelstitel für all jene, die sich ihre eigene Würde längst aus Gehaltsgründen abtrainiert haben.

Das Ganze hat irgendwann in den 90ern angefangen, als plötzlich jeder Hans und Franz “CEO” war, auch wenn sein “Unternehmen” nur aus ihm selbst, einem Laptop und einer PowerPoint-Präsentation bestand. Seitdem blüht der Titelmarkt wie Schimmel auf Toast:

  • Chief Happiness Officer
  • Feelgood Manager
  • Senior Sandwich Artist.

Die Leute sind süchtig danach, denn in einer Welt, in der keiner mehr etwas ist, muss man wenigstens so tun als ob.

Kapitel 2: Armut als Tugend, Reichtum als Gottesurteil

Währenddessen hat die Politik ihre altbewährte Masche perfektioniert:

Trete nach unten, lächle dabei und nenne es Reform.

Das neueste Feindbild: der Bürgergeld-Empfänger.

Der ultimative Sündenbock für alles, was im Land schiefläuft. Faul, undankbar, Urlaub auf Staatskosten, das ganze Stammtischbingo hoch und runter. Dass der LIDL-Gründer in einem Jahr um 3 Milliarden Euro reicher geworden ist? 1 Ach, geschenkt. Der hat’s sich ja “verdient”.

Artikel 1 Grundgesetz? “Die Würde des Menschen ist unantastbar.”

Haha.

Schöner Satz.

Steht da halt.

In der Praxis gilt eher:

“Die Würde des Menschen ist antastbar, solange er keine Lobby hat.”

Ein Unfall, eine Krankheit, ein Todesfall und zack, bist du von der Mittelklasse in den Abgrund gefallen. Haus weg, Würde weg, Perspektive weg. Aber hey, wenigstens darfst du noch deine Bewerbungsunterlagen auf recyceltem Papier drucken. Nachhaltig scheitern ist schließlich in.

Kapitel 3: Die Politik als Sadomaso-Club

Unsere Volksvertreter spielen inzwischen “Gesellschafts-Domina”:

  • Je ärmer du bist, desto härter wird’s.
  • Wer strampelt, wird sanktioniert.
  • Wer betrügt, wird belohnt.
  • Und wer gar nichts tut, bekommt einen Beratervertrag.

Die SPD, einst Stolz der Arbeiter, hat sich längst zum willigen Erfüllungsgehilfen der Konzerne degradiert. Die Agenda 2010 war der endgültige Schlussstrich unter dem Wort “sozial”. Seitdem heißt es: “Arbeiten bis zum Umfallen und wenn du umfällst, tritt garantiert einer nach.”

Arbeitslos? Schon stigmatisiert.

Bürgergeld? Schon verdächtig.

Hilfe suchen? Schon verdächtig faul.

Ein Teufelskreis aus Demütigung, Scham und Existenzangst, die Gesellschaft schaut weg, weil es bequemer ist, sich über “die da unten” zu empören, statt über jene, die sie dort mit aller Macht festhalten wollen.

Kapitel 4: Das große Löschen

Wer einmal unten ist, ist draußen.

Raus aus den Netzwerken, raus aus den Einladungslisten, raus aus der Wahrnehmung. Kein Zoo, kein Kino, kein Konzert. Selbst die Kugel Eis ist Luxus. Kinder bleiben zu Hause, weil der Schulausflug zu teuer ist. Aber klar, Hauptsache, die Politiker twittern über “Chancengleichheit”. Die wissen ja selbst nicht mal was das ist, weil der goldene Löffel denen immer noch im Hintern steckt.

Und während die Politik über “Einzelfälle” von Bürgergeld-Missbrauch schwadroniert, sind rassistische Polizeistrukturen natürlich auch nur “Einzelfälle”. Einzelfälle sind das neue Normal. Wären sie unbequem, hätte man das anerkannt. Wer will das? Polemik ist wichtiger als Politik. Das sollte denen mal einer sagen, dass Polemik das Gegenteil von Politik ist.

Kapitel 5: Der große Zynismus

Rechte jammern über die “verweichlichte Gesellschaft”. Sobald sie an der Macht sind, machen sie die Gesellschaft noch weicher. Wir alle sind nur einen Schritt von der Veggie-Hölle entfernt! Wehe euch einer gendert das auch noch! Dann sind wir alle verloren! Das Klima gleich mit.

Und die Sozen inzwischen? Die predigen Moral und Sozialstaat und unterschreiben brav jedes Gesetz, das ihn abschafft. Am Ende stehen sie alle da, Arm in Arm, über den Trümmern ihrer eigenen Glaubwürdigkeit und halten eine Rede über “Freiheit, Verantwortung und Zusammenhalt”.

Und das Volk?

Klatscht.

Weil es hofft, dass es wenigstens “Senior-Klatscher” sein darf.

Denn Klatschen hat das Volk zuletzt in der Corona-Pandemie geübt. Es ist einfach, es kann jeder, es stört keinen anderen, geht ohne Aufwand, man muss nicht mal den Hintern vor die Tür tragen.

Der neue Homo Consumensis hat’s geschafft.

©  361-grad.eu - Trete nach unten, lächle dabei und nenne es Reform.
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