Du darfst keinen Gott neben mir haben
Aufmerksamkeitsökonomie als neue Religion
TL;DR:
Eine Gesellschaft, die sich selbst im Spiegel der Likes anbetet, braucht keine Kirche mehr.
Sie hat sich längst eine gebaut, aus Eitelkeit, Empörung und dem unstillbaren Drang, gehört zu werden.
Willkommen in der Kirche der Selbstinszenierung.
Jeder ist Prophet.
Aber nur der eigenen Meinung.
Jeder predigt, kaum einer hört zu, noch weniger verstehen.
Likes sind das neue Amen.
Herzchen das neue Weihwasser.
Und wer anders denkt ist Ketzer.
Die Beichtstühle der Eitelkeit
Ich bin von den meisten großen Accounts in den sozialen Medien zutiefst enttäuscht. Nicht, weil sie nichts zu sagen hätten, sondern weil sie nicht zuhören wollen.
Nur die eigene, in die Welt posaunte Meinung sei das eine Geschenk an die Welt, alle anderen sind nur dazu da, Beifall zu klatschen.
Fremde Gedanken? • Unerwünscht.
Neues? • Bedrohlich.
Widerspruch? • Sakrileg!
Mit Wohlwollen wird man erst dann “belohnt”, wenn man sklavisch dieselbe Meinung teilt. Und selbst dann, höchstens ein Like, selten ein Wort.
Ein einfaches Danke? • Tot.
Kommentar-Kultur? • Begraben unter der nächsten Empörungswelle.
Du darfst keinen Gott neben mir haben.
Ruhm statt Haltung
Den meisten geht es gar nicht darum, etwas beizutragen. Nicht um Erkenntnis. Nicht um Fortschritt. Nicht um Dialog.
Es geht nur um eins: Selbstverklärung.
Sie sprechen nicht, um zu überzeugen. Sie sprechen, um gesehen zu werden.
Sie kämpfen nicht für Ideen. Sie kämpfen für die eigene Aufmerksamkeit.
Die Stimme anderer? • Störgeräusche.
Bessere Formulierungen? • Gefahr.
Fehlerkultur? • Abgeschafft.
Anerkennung? • Nur wenn es die eigene Marke stärkt.
Du darfst keinen Gott neben mir haben.
Politik - das große Bühnenstück
Woher kommt mir das alles nur so bekannt vor? Ach ja, aus der Politik.
Auch dort:
Worte ohne Inhalt.
Gesten ohne Haltung.
Inszenierung ohne Konsequenz.
Das übliche also:
Man spielt Bürgernähe, fürchtet aber den echten Bürger.
Denn was, wenn jemand da draußen bessere Ideen hätte?
Was, wenn der Souverän tatsächlich mitdenken würde? • Unvorstellbar.
Also wird geredet, aber nicht gehört.
Gesehen, aber nicht verstanden.
Du darfst keinen Gott neben mir haben.
Presse, im Bann des Klicks
Die Presse, früher vierte Gewalt, heute vierte Bühne.
Die Schlagzeile zählt, nicht die Substanz.
Das Klickverhalten bestimmt die Wahrheit.
Die Aufmerksamkeitsökonomie hat das Gewissen ersetzt.
Man liebt die eigenen Worte mehr als den Inhalt. Man schreibt nicht, um zu informieren, man schreibt um zu performen.
Widerspruch? • Unpraktisch.
Titel? • Pflicht.
Denn wer ohne Etikett spricht, kann ja nichts wissen, oder?
Der Journalismus der Eitelkeit hat Angst vor der Realität, weil sie nicht klickt.
Du darfst keinen Gott neben mir haben.
Die neue Religion
Das ist sie also, die neue Weltordnung:
- Götter überall, keiner echt.
- Eitelkeit als Ersatzreligion.
- Selbstverliebtheit als Währung.
- Empörung als Liturgie.
Wir reden alle, keiner hört mehr hin.
Wir senden, ohne zu empfangen.
Wir folgen, ohne zu denken.
Vielleicht ist das der wahre Turmbau zu Babel.
Eine Kackophonie aus Millionen Stimmen, die alle nur eines sagen wollen:
Ich. Bin. Gott.
Du darfst keinen Gott neben mir haben.
Fazit, wir leben in einer Ich-Ökonomie
Die Gesellschaft krankt an sich selbst. Kaum einem geht es noch um die Gemeinschaft, den meisten geht es nur und ausschließlich um sich selbst. Nur wenige sind heute noch in der Lage, dem Begriff “Gemeinschaft”, was eine Gesellschaft letztendlich darstellt, etwas abzugewinnen bzw. das auch genau so zu leben.
Die Welt als Ich-Ökonomie, mit dem Homo Consumensis auf der Spitze der Pyramide.
Ergänzung
Wer Interesse am unredigierten Ur-Text hat, hier ist er:
Du darfst keinen Gott neben mir haben!
Ausufernde Aufmerksamkeitsökonomie in den Sozialen Medien
Wisst ihr, ich bin von den meisten Accounts massiv enttäuscht. Sie meinen ihre Meinung feilbieten zu müssen, andere Meinungen - außer der eigenen - kommen gar nicht erst vor. Deren Netzwerke und Claqueure zählen mehr als etwas neues, unbekanntes. Andere Gedanken, geäußert von jemandem der außerhalb der eigenen Bubble steht, das scheuen sie wie der Teufel das Weihwasser. Mit Wohlwollen wird man erst dann “belohnt”, wenn man uneingeschränkt deren Meinung verbreitet. Und auch dann werden Kommentare zumeist nur “geherzt” (wenn überhaupt!), statt kommentiert. Ein “Danke” findet nicht statt. Nirgends. Eine Unsitte, die nicht nur auf die Sozialen Medien zutrifft.
Du darfst keinen Gott neben mir haben!
Ich akzeptiere, den meisten ist nicht wichtig etwas für alle zu erreichen. Sie tun es nicht um eventuell diese Gesellschaft zu verbessern. Die meisten tun es schlicht und einfach nur für den persönlichen Ruhm. Zu mehr genügt deren Handlung nicht. Die eigenen Worte möchten diese Personen Millionenfach von anderen wiederholt wissen, so selbstverliebt ist man in den Klang der eigenen Stimme. Wehe ein anderer findet bessere Worte, das gehört unterdrückt. Fehlerkultur gibt es nicht. Anerkennung für die Leistung anderer erst recht nicht. Nur der eigene Ansatz zählt, Stimmen von woanders stören da nur den eigenen Stil.
Woher kommt mir das nur bekannt vor?Ach ja, die Politik! Auch die Politik interessiert eine eventuell vorhandene und gute Meinung aus dem “Publikum” nicht. Es bräche ja der Wahnsinn aus, wenn der Souverän plötzlich die besseren Gedanken hätte als der Politiker! Wer will das? Wer will den Fokus denn von sich ablenken und auf andere richten? Auch wenn es nur wenige Augenblicke wären?
Du darfst keinen Gott neben mir haben!
Selbiges trifft auch auf die Presse zu. Die Presse sitzt am Kindertisch und spielt mit dem einzigen was ihr verblieben ist: dem “Klickbait”. Die Aufmerksamkeitsökonomie ist der einzige Faktor, der die Presseleute heute noch steuert. Es geht nicht mehr um das verbreiten von Wissen, das verbreiten von Informationen, es geht nur noch um die eigenen und öffentlich vielzitierten , von denen selbst “erfundenen” Phrasen. Diese Selbstverliebte Presse ist gar nicht interessiert an “kleinen” Geschichten. Egal ob die kleine Geschichte die große unterstützt, beweist, ergänzt. Hauptsache man kommt selbst groß raus. Alles andere ist denen schlicht egal. Sie passt nicht innerhalb des eigenen Horizonts, man müsste den ja erweitern. Wer will denn Arbeit investieren?!
Du darfst keinen Gott neben mir haben.
Zitate finden nicht statt. Bei den Neurechten Umtrieben werden Beweise mit selbst beweisenden Behauptungen untermauert. Da genügt es wenn man sich selbst zitiert, um Relevanz und Wahrheit zu suggerieren. Bei allen anderen sind Beweise allenfalls aus der eigenen Bubble zu finden. Von Außerhalb ist da kein Eindringen möglich. Das sind dann zwar nicht die Handlungsweisen der Neurechten Szene, aber sie wirken inzwischen sehr ähnlich auf mich. Wer keinen “Titel” hat, der ist nichts wert! Das ist so! Das geht schon Jahrzehnte so. Entweder man hat das entsprechende Netzwerk, einen entsprechenden Titel, oder einen entsprechenden Gönner. Die meisten - hier insbesondere Journalisten - haben in allererster Linie Angst um ihren Job. Vielleicht haben sie selbst viel Mühen, Zeit und Geld in ihr Studium investieren müssen, da kann es doch nicht sein, dass ein wild dahergelaufener - zudem ohne Titel(!!) - (oder Ausbildung) auch etwas vernünftiges zum Thema beizutragen hätte.
Nee Leute, das geht nicht!
Du darfst keinen Gott neben mir haben.
Fazit, wir leben in einer Ich-Ökonomie
Die Gesellschaft krankt an sich selbst. Kaum einem geht es noch um die Gemeinschaft, den meisten geht es nur und ausschließlich um sich selbst. Nur wenige sind heute noch in der Lage, dem Begriff “Gemeinschaft”, was eine Gesellschaft letztendlich darstellt und ausmacht, etwas abzugewinnen bzw. das auch genau so zu leben.
Die Welt als Ich-Ökonomie, mit dem Homo Consumensis auf der Spitze der Pyramide.
Fazit vom Fazit
Wie soll die Gesellschaft zu einem Konsens kommen? Wie soll die Gesellschaft sich verbessern können, wenn die entscheidenden Protagonisten keinerlei Interesse an einem “mehr” an Meinung oder Argumenten haben? Die Vielzahl an Argumenten macht doch erst die Würze. Irgend eines von den vielen Argumenten könnte ja dazu führen, dass sich auch andere Personen “abgeholt” bzw. “verstanden” fühlen und den eigenen Weg deswegen verändern! Offenbar ist das noch nirgends angekommen. Viel mehr spielt man den Einzelkämpfer auf einer der vielen Barrikaden. Man fühlt sich das DER Revolutionär, dem ganze Heerscharen zu folgen haben. Die meisten kennen das Motiv sicherlich von den Bildern zur Französischen Revolution.
Gemeinschaft ist mehr als der eigene Ruhm. Wenn Du Deinen Ruhm mit anderen teilen kannst, nur dann bist du ein wahrer Patriot, alles andere ist nämlich nur Lächerlich.